COVID-19 und Beatmung

Im Zusammenhang mit dem neuen Coronavirus ist viel die Rede von Beatmungsplätzen. Ich merke: viele meiner Bekannten ohne medizinischen Background wissen gar nicht recht, um was es da geht. Gehörst du da dazu? Willkommen beim Crashkurs.

Disclaimer: ich bin nicht Intensivmediziner, eher so fortgeschrittener Laie auf dem Gebiet. Manche Profis sind bestimmt nicht einverstanden mit meinem Geschreibsel. Aber das macht nichts. Bei COVID-19 gilt sowieso: traue keinem, egal ob Wissenschafter, Verschwörungstheoretiker oder Politiker. „Prüfe alles, das Gute behalte“ oder so. Ist soviel ich weiss von Paulus, und der war schlau (auch das weiss ich nicht sicher :-)).

„COVID-Kranke mit schwerem Krankheitsverlauf sind häufig auf eine künstliche Beatmung angewiesen. Es ist ihre einzige Chance, um die Krankheit zu überleben. Beatmungsplätze sind knapp, und in der aktuellen Situation gibt es mancherorts zu wenig. Die Mediziner müssen selektionieren, nicht alle erhalten einen Beatmungsplatz und müssen deshalb sterben“. Ist das etwa das, was du denkst? Nun, das ist nicht ganz falsch, aber doch ziemlich falsch. Eigentlich fast ganz falsch.
Zuerst kurz zum Thema: was ist eigentlich künstliche Beatmung? Wir brauchen Sauerstoff zum Leben. Den entnehmen wir der Luft; zu diesem Zweck atmen wir sie in die Lunge ein, und hier tritt der Sauerstoff ins Blut über. Wir saugen die Luft mit Muskelaktivität hinein; beim Ausatmen entweicht sie passiv ohne unser Zutun. Künstlich können wir das nicht nachahmen. Wir müssen die Luft mit Druck in die Lunge pressen; das Ausatmen erfolgt danach passiv. Das Hineinblasen der Luft erfolgt im Notfall mit Mund-zu-Mundbeatmung, unter regulären Bedingungen mit Beatmungsbeutel oder Beatmungsmaschine (da gibt es ganz raffinierte Geräte, die beatmen dich besser als du es selber je könntest…). Das Hineinpressen der Luft birgt Gefahren: Zum Beispiel gelangt die Luft in den Magen, und der Patient erbricht. Deshalb wird der Patient mit einem Tubus, einem Beatmungsschlauch, der in der Luftröhre liegt, versorgt; er wird intubiert. Gesicherter Atemweg nennt man das.
Es gibt viele Gründe, weshalb ein Patient künstlich beatmet wird. Ich unterscheide hier zwei Gruppen, weil das unserem Thema dient: Der Patient aus Gruppe 1 hat eigentlich kein Atemproblem, er atmet aber im Moment trotzdem nicht selber. Er ist tief bewusstlos oder tief in Narkose durch Medikamente (man nennt das „künstliches Koma“). Er hat eine schwere Grunderkrankung, zB eine Hirnblutung, und ist deswegen bewusstlos, oder er ist in Narkose, weil das im Moment therapeutisch besser ist für ihn, zB nach einer Operation oder einem schweren Herzinfarkt. In dieser tiefen Bewusstlosigkeit ist die Atmung stillgelegt. Wenn sich der Patient von seiner Krankheit erholen kann, lässt man ihn aufwachen, und er atmet wieder selber. Die Beatmung hat ihm in einer schweren Situation ein therapeutisches Zeitfenster ermöglicht für die Heilung.
Der Patient aus Gruppe 2 ist atmungsmässig in einer ganz anderen Situation. Er muss künstlich beatmet werden, weil er ein ursächliches Atmungsproblem hat und deshalb die Atemarbeit nicht mehr selber bewältigen kann. Er ist zB schwerer Asthmatiker und mit seiner Kraft am Ende, oder er hat eine schlimme Staublunge, die einfach nicht mehr richtig funktioniert, oder er hat eine schwere Lungenentzündung, und der Sauerstoffaustausch in der Lunge ist dadurch stark behindert. Mit der künstlichen Beatmung ersetzt man hier die nicht mehr selbständig mögliche Atmung des Patienten.
Gruppe 1 und Gruppe 2 sind zwei Welten. Der Patient aus Gruppe 1 hat kein Problem mit der Beatmung. Falls er die Grunderkrankung überwindet (was häufig nicht eintrifft, da er schwer krank ist), braucht es die Beatmung nicht mehr und atmet wieder selber. Ganz anders der Patient aus Gruppe 2. Wenn ein Mensch so schwer atembedingt krank ist, dass er intubiert werden muss, wird er höchstwahrscheinlich an dieser Krankheit sterben. Seine Lunge ist so krank, dass die Heilungschancen minim sind.
Zwei Beispiele dazu: Jemand hat einen schweren Schlaganfall und ist bewusstlos. Kein Thema: er wird sofort intubiert. Der Verlauf bezüglich Schlaganfall stellt die Weiche zu Leben oder Tod, die künstliche Beatmung ermöglicht dafür ein Zeitfenster. Ganz anders bei diesem Patienten: bei schwerer Lungenenzündung und Antibiotikatherapie ohne Erfolg geht es ihm so schlecht, dass er intubiert werden müsste. Aber niemand will ihn intubieren. Man weiss: er wird an der Lungenentzündung sterben, und die künstliche Beatmung wird den Tod nur etwas herauszögern.
Nun zu COVID-19. Der typische beatmungspflichtige Corona-Patient ist alt oder sehr alt und ist auch ohne Corona nicht mehr vif. Nun hat er einen schweren Krankheitsverlauf, er hat das Bild einer interstitiellen Lungenentzündung. Die Lunge setzt sich im Kampf gegen das Virus quasi selber schachmatt. Nebenbei hat er hohes Fieber und DiesundDas. Er gehört zu unserer obigen Gruppe 2, und zwar als Extremfall. Er wird sterben, kein Thema. Diese Lunge wird sich nicht erholen, und wenn sie es doch schafft nach wochenlanger Beatmung, nützt das auch nicht viel; der alte, schwache Mensch bewältigt eine solche Tortur nicht in einem guten Zustand.
Das ist die Situation. Der Arzt muss nun darüber entscheiden, ob er für diesen Patienten einen Beatmungsplatz hat; ein Patient, den er im normalen Spitalbetrieb, bei einer schwerem Grippeverlauf zB, lieber gar nicht intubieren würde. Aber jetzt ist Krieg, und es wird gekämpft. Die Vorstellung, dass dieser COVID19-Kranke dank Beatmung überlebt, ist falsch. Für jüngere Patienten mit schwerem Verlauf und mit intakter Heilungschance hat es immer Beatmungslätze. Diese Patienten sind nämlich dünn gesät. Zum Glück. Ich bin froh, dass SARS-CoV2 nicht ein so schlimmes Virus ist. Sonst hätten wir vielleicht ein Problem mit den Kapazitäten.

Wenn wir schon über Sterben und so reden: hast du dir schon Gedanken gemacht, wie du es gerne mal hättest? Mit Intensivmedizin am Ende des Lebens, Reanimation und so?  Heute stirbt man nicht mehr einfach so, wenn es halt Zeit ist. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben ist nicht lustig, aber die entsprechenden Entscheidungen einfach den Angehörigen ( oder dem Rettungsdienst…) zu überlassen ist auch nicht nett.

Finde ich.

3 Gedanken zu „COVID-19 und Beatmung

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