Gehorche der Regierung-immer?

Ueli schickte mir, so quasi als Antwort auf meinen letzten Blogbeitrag, diesen IDEA-Artikel. Hier sind meine Gedanken dazu. Das Thema beschäftigt mich sehr. Ich wäre unglaublich dankbar, wenn andere Menschen ihre Überlegungen dazu teilen würden.

Gehorche der Regierung – immer? Klicken für download

Der Titel tönt ja neutral und lässt auf eine kontroverse Auseinandersetzung hoffen. Aber schon im ersten Absatz tönts anders: Coronagegner sind randalierende Chaoten und Leuenberger ist Reverenz. Bilder verstärken diese Botschaft. Ok, dann halt.

Dann kommt der theologische Teil mit Bibelstellen und so. Aber sofort wird klargemacht: kritische Fragen liegen noch knapp drin. Alles was schlimmer ist in Richtung Regierungskritik, muss hohe Hürden überwinden. Jesus wehrte sich schliesslich nicht gegen ungerechte Zustände. Und die ersten Christen akzeptierten die römische Obrigkeit. Soll keiner auf die Idee kommen, unsere demokratisch gewählte Regierung zu kritisieren! Ungehorsam ist in gaaanz speziellen Einzelfällen berechtigt. Sowas ist ja offensichtlich nirgendwo in Sicht heute.

Jetzt folgt der Abschnitt mit dem erhobenen Zeigefinger: eine Auflistung von schlechten, egoistischen, unzulässigen Gründen für Ungehorsam. Darauf folgen die zulässige Gründe. Die Verordnungen zu Covid werden als Verursacher von Problemen erwähnt, aber die sind ja sooooo marginal, dass klar ist: keine Berechtigung zur Kritik! Schliesslich erschiesst der Bundesrat niemanden, und wir Christen dürfen uns frei ausleben. Dass ich im Moment auf den Gottesdienstbesuch verzichte, weil mein Herz weint in einer Versammlung unter solchen Umständen, ist schliesslich mein persönliches Problem und keine wesentliche Einschränkung. Die Regierung ist also offensichtlich nicht böse und verdient deshalb unsere uneingeschränkte Unterstützung.

Dann kommt noch eine Kriterienliste für guten Ungehorsam, falls er doch einmal berechtigt sein sollte. Da ist sofort klar: diese Kriterien erfüllt höchstens Jesus persönlich. Wenn überhaupt, aber eher nicht. Deshalb das Résumée: Diskutieren in der Gemeinde ist ok, aber keinesfalls etwas Queres machen. Wirft nämlich ein schiefes Licht auf die Frommen, und das ist asozial und gefällt der Regierung zu Recht nicht.

Ich vermisse einiges an diesem Artikel: eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Bibel. Es ist einfach lächerlich, was der Autor da schreibt, das merke sogar ich als theologischer Banause. Dann: ein historischer Bezug. Wie machten das unsere Brüder in schwierigen Situationen? Und wie leben unsere Brüder heute in ähnlichen Situationen in schwierigen Ländern? Es wird kurz Bezug genommen auf das dritte Reich, aber nur um zu sagen, dass die Situation natürlich nicht vergleichbar ist. Ist sie ja wirklich nicht, der Bezug bringt wenig. Obwohl dass es damals auch Kirchenleute gab, die diesen Artikel genau so geschrieben hätten, denke ich…das Hauptgewicht im Artikel liegt einfach auf dem moralisierenden Zeigefinger: du bist ein böser Egoist, wenn du den Staat nicht unterstützen willst!!!

Was vor allem fehlt im Artikel: Es gibt ja irgendwie einen Grund, weshalb dieser Artikel überhaupt geschrieben wurde. Christen setzen sich in der aktuellen Situation mit dem Thema auseinander. Das sind nicht einfach spätpubertäre Anwandlungen, sondern ernsthafte Überlegungen. Christen sehen, dass Menschen leiden, dass Regierungen Menschen quälen, dass demokratisch legitimierte Regierungen nicht für das Volk schauen, sondern für irgendwelche unklaren Interessen. Und Christen leiden selber unter den Vorschriften zum Zusammenleben. Wie gehe ich damit um, wenn ich solche Missstände erkenne und Handeln gefragt ist? Auf diesen Kern der Sache geht der Autor lieber nicht ein. Das gibt es einfach gar nicht jetzt.  Aber das ist es, was mich beschäftigt.

Der Artikel ist Handbuch für eine staatskompatible Kirche, die nicht aneckt, aber den Auftrag von Christus kaum erfüllen wird. Wir sehen solche Kirchen in vielen Ländern, oder? Ist das unser Weg?

Mein Weg ist das nicht. Ich habe etwas gemerkt im letzten Jahr. Die Stimme in meinem Herzen ist ein guter Wegweiser. Ich bin ein Tempel Gottes, denke ich. Und die Stimme aus diesem Tempel ist grundsätzlich gut und hilfreich. Im Gegensatz dazu haben andere Stimmen, die eigentlich Wegweisung geben sollten, versagt. Beim Lesen hat sich diese Stimme deutlich gemeldet. Wie ist es bei dir? Schreibst du es bitte als Kommentar?

Ein Gedanke zu „Gehorche der Regierung-immer?

  1. Lieber Paul
    Du hast recht mit deinem Hinweis zum dritten Reich, dass es damals auch Kirchenleute gab, die diesen Artikel genau so geschrieben hätten.
    Ansonsten lebe ich offenbar in einer anderen Welt. Wenn Fromme, wie ich sehe, Zerstörung und abgrundtief Böses mit theologischen Gründen verteidigen, und das nicht einmal merken, dann stimmt der obige Vergleich doch noch. Salz ohne Kraft.
    Und ich bin tief erschreckt hier weg. Vielleicht einmal persönlich.
    Frohen Sonntag
    Dr. theol .C.Q.M.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert