Es ist halb zehn, und ich sitze am Hafen in Tunis beim Passbüro. Es zieht und ist kühl, ich friere. Seit zwei Stunden sind wir nun hier.
Um sechs war die Ankunft der Fähre geplant. Tunesien hat dieselbe Zeitzone wie wir, aber keine Sommerzeit. Das ist uns leider entgangen. Aber so war die Schlange beim Kaffee noch etwas kürzer. Die Ankunft wurde später verschoben auf sieben Uhr. Wir hatten priorisierten Ausstieg und waren bei den ersten Fahrzeugen, die von der Fähre fuhren.
Sofort erfolgte die erste Coronatestkontrolle.
Dann stellten wir das Auto beim Zoll ab, und seither warten wir beim Passbüro. Hier ist es richtig lustig und lebendig. Routiniers erzählen, dass wirklich alles anders ist wegen Corona. Tunesier kommen problemlos durch. Aber auch Angehörige von Tunesiern ohne tunesischen Pass haben Schwierigkeiten. Das scheint wirklich neu zu sein. Wir erzählen mehrmals dieselbe Geschichte: wir besuchen in Monastir Freunde, nein, wir haben keine Hotelbuchung. Es ist alles wirklich chaotisch hier. Wir kommen überhaupt nicht draus, wer hier eine offizielle Funktion hat und wer sonst herumläuft und ein wichtiges Gesicht macht.
Vor einer halben Stunde passierte etwas: wir brauchen eine Hotelbuchung für die ganze Zeit. Privatunterkunft geht nicht. Alles nützt nichts, das muss sein. Andere Wartende helfen uns sofort. Sie erklären, was wir machen müssen: Hotel buchen und dann wieder stornieren. Jemand gibt uns Hotspot, und ich buche auf booking.com das billigste Hotel in Monastir. Dann gehts wieder ins Büro, hin und her, Telefoniererei, alles wird aufgeschrieben. Jetzt warten wir wieder. Wahrscheinlich müssten wir zwei Tage in Quarantäne ins Hotel und dann einen Test machen. Ich bin gespannt, wies weitergeht. Endlich etwas essen wäre nicht schlecht. Die Zollabfertigung kommt auch noch. Christian wartet sein dem Morgen irgendwo nicht weit weg in einem Café.
Um halb elf interveniert Pia bei einem der Funktionäre. Nun können wir kurzum zum Schalter, nochmals eine Frage wegen der Unterkunft, und dann wird der Pass endlich gestempelt. Das Auto wird eingetragen, und nach einer Viertelstunde gehts weiter zum Zoll. Pia ist aufmerksam und sieht den roten Pass in der Hand des Mannes, der das Büro verlässt. Er hätte uns nichts gesagt, man muss irgendwie selber merken, dass man jetzt mitlaufen muss.
Auch beim Zoll ist alles unklar. Einer hat eine Uniform mit Hut, das ist bestimmt der Chef. Andere haben irgend ein Gilet oder gar nichts sichtbares, aber trotzdem eine Aufgabe. Zuerst wird eine Liste erstellt. Meine sauber gedruckte Liste gilt nicht, es muss auf dem arabisch vorgedruckten Formular stehen. Das geht natürlich nur mit Hilfe. Wir entladen in einer offenen Halle das Auto komplett.
Das passt alles in diesen Ducato hinein. Ehrlich, es stimmt, ich habe es selber gesehen. Unser Häuflein ist richtig mickrig daneben.
Der Zollbeamte erscheint, und nun tut der Gilettierte plötzlich geheimnisvoll. Er müsse Geld haben für den Chef. Ich gebe ihm zehn Euro, aber das ist zuwenig. Er zeigt mir einen Fünfzig-Euroschein. Ich gebe ihm dreissig. Das war bestimmt zuviel, keine Ahnung, aber er hat mich richtig übertölpelt. Wo das Geld schlussendlich landet und ob es etwas bringt, weiss ich nicht. Wir warten jedenfalls wieder lange auf den Chef, aber das Material ist kein Thema. Vielleicht wäre das anders gewesen ohne Schmiergeld? Eigentlich sollte man ja nichts bezahlen, die Meinung sind da wohl geteilt. Ein Franzose auf dem Schiff sagt uns, wir dürften auf keinen Fall etwas geben, das ist verboten, und man macht sich verdächtig. Ein anderer erfahrener Tunesienreisender meinte, ohne Bestechung gehe einfach alles länger. Aber die dreissig Euro waren auf jeden Fall zuviel.
So, der Stempel ist da. Es gab eine kurze Diskussion wegen des dreissigjährigen Roland-Keyboards (oh, c’est professionel, vous devez payer), aber ich erkläre, dass ich es halt dalasse, wenn ich bezahlen muss, dann wars ok. Wir haben eine Canon Spiegelreflex dabei, nicht neu, aber gut erhalten, in einer neuen Kameratasche. Die entdecken sie zum Glück nicht. Jetzt ist eigentlich alles gut, aber wir warten noch auf die Pässe. Sie liegen in irgend einem Büro, niemand weiss warum. Es ist jetzt tatsächlich ein Uhr. Vor sechs Stunden legten wir an.
Viertel nach eins. Wir unterhalten uns gut mit einem Tunesier, der in Frankreich lebt und in Deutschland arbeitet. Er ist mit seinem ausgebauten Mercedes Sprinter unterwegs. Dieser ist alt und rostig. Der Besitzer hat Qualitätsfarbe dabei. Er sagt, in Tunesien wäre die gar nicht erhältlich. Er wird während den Ferien das Auto neu lackieren lassen. Das kostet ihn 400 Euro. Er hilft uns enorm, ist sehr nett, und es ist ihm peinlich, dass wir in seinem Land so behandelt werden. Er hatte ebenfalls Passprobleme. Seine deutsche Frau hat keinen tunesischen Pass. Er trägt Bart, sie Kopftuch und konservative Kleider, ebenfalls das vielleicht zwölfjährige Mädchen. Trotzdem sollte er eine Heiratsbescheinigung vorlegen. Bekannte in Tunesien mit Beziehungen rufen beim Zoll an und setzen sich für ihn ein. Er sagt, dieses Jahr sei alles anders. Wir haben viel gelernt von ihm. Jetzt dreht sein kleiner Sohn durch. Das bringt Bewegung in die Sache. Wir merken: die Pässe liegen nicht in einem Büro. Sie stecken in der Hosentasche des zuständigen Zöllners. Dieser wartet einfach, bis er alle abgefertigt hat, bevor er weitermacht. Jetzt bringt er die ganze Gruppe, etwa ein halbes Dutzend Fahrzeuge, auf die andere Seite des weitläufigen Geländes. Hier stellen wir die Autos ab und besammeln uns bei einem Büro. Der Pass wird kontrolliert und kopiert, der Fahrzeugausweis ebenfalls, und es wird eine Bescheinigung gedruckt, damit wir legal in Tunesien fahren dürfen. Es gibt also wirklich noch Nadeldrucker mit Endlospapier auf dieser Welt. Interessanterweise will niemand die grüne Karte, den internationalen Versicherungsausweis, sehen. Lustig.
Und was jetzt kommt, ist auch lustig. Vom Büro werden wir zu Schranke 4 geschickt. Wir sind in einer Halle mit mehreren Spuren, am Ende steht jeweils ein Glaskabäuschen, in einigen sitzt jemand. Wir gehen also zu Nummer 4. Hier wird der Pass kontrolliert, der Fahrzeugausweis ebenfalls, und auf die Fahrbescheinigung kommt ein Stempel drauf. Danach geht es zwanzig Meter hinüber zu Häuschen 2. Hier wird alles kontrolliert, und die Bescheinigung wird bei der Perforation abgetrennt, ein Teil bleibt da. Dann geht es weiter zu Schranke 3. Das ist die Rückseite von 4, der Mann ist derselbe, er dreht einfach den Stuhl. Nochmals wird alles besichtigt, dann ist schon alles vorbei. Wir können durchfahren und kommen zum Tor. Am Tor steht der letzte Zöllner. Er schaut den Pass an, die Bescheinigung sowie die gestempelte Zollabfertigung. Mit ihm plaudern wir noch ein wenig über Tunesien, dann sind wir schon draussen. Es ist 13.30. Das waren sieben Stunden am Zoll.
Christian wartet vor dem Tor, seit —sieben—Uhr. Es gab ein paar Kaffees und ein paar SMS, aber jetzt sind wir da. Vis-a-vis ist das Cafe Petit Etoile, ich hätte gerne einen Kaffee. Wir setzen uns hin, die Karte kommt; etwas Kleines essen wäre auch gut. Wir bestellen eine Vorspeise, dann merken wir, dass irgendwas nicht stimmt. Aha, entweder richtig essen oder gar nicht. Ok, und einfach etwas trinken? Leider nein. Sachen gibts auf dieser Welt. Dann gehen wir halt wieder.
Christian ist mit einem ausgeliehenen Auto da, wir bringen das zuerst zurück und fahren danach nach Monastir. Er fährt voraus, quer durch Tunis, ich versuche, ihm zu folgen. Es ist schrecklich. Terrible. Unglaublich. Sowas habe ich natürlich noch nie erlebt, aber ich hätte es mir nicht einmal annähernd so schlimm vorstellen können. Italien? Lächerlich, die fahren alle soo lieb da. Es hupt niemand in Italien, ich schwöre. Niemand. Es ist wirklich schlimm. Pia ist ziemlich fertig, es gibt nicht mal mehr ein paar Fotos vom Verkehr, leider. Ich weiss jetzt noch nicht, wie das ohne Blechschaden vorbeiging. Aber ein psychischer Schaden bei mir bleibt wohl. Ich bin so froh, als wir aus Tunis raus sind, auf der Autobahn gegen Süden.
Wir fahren durch eine reizvolle Landschaft, so ähnlich wie Südfrankreich. Es hat viele Olivenbäume, andere Landwirtschaft auch. Und es gibt grasende Schafe, direkt am Pannenstreifen. Direkt am Pannenstreifen. Auf der Autobahn. Ohne Zaun. Der Pannenstreifen wird auch sonst benutzt, als Gehweg oder als Erdbeerverkaufsplattform zum Beispiel.
Dann sind wir in Monastir und sofort zuhause. Rahel hat gekocht, Sardinen, Gemüse, Couscous. Ankommen ist schön.
Am späten Abend gehen wir kurz ans Meer, das muss natürlich sein. Hineinspringen kommt später
2 Gedanken zu „Tunis- Warten 2nd Ed.“
Das Warten auf diese Folge mit dem Abendteuer hat sich gelohnt, wenn ja eigentlich eher ein Morgenteuer.
Aber alles bestens, diese Folge endet Mitten am Abend !
Fröhliche Ostern !
Bin froh, dass Ihr dich noch gut angekommen seid